DIN VDE 0105-100 (Betrieb von elektrischen Anlagen)

Die sichere Nutzung elektrischer Anlagen ist eine Grundvoraussetzung für den störungsfreien Betrieb moderner Produktionsstätten. Eine zentrale Norm in diesem Bereich ist die DIN VDE 0105-100, die unter dem Titel „Betrieb von elektrischen Anlagen“ veröffentlicht wurde. Sie legt die grundlegenden Anforderungen an den sicheren Betrieb, die Instandhaltung und die Organisation elektrischer Anlagen fest. Der Geltungsbereich reicht dabei von industriellen Hochspannungsanlagen bis hin zu ortsfesten Niederspannungsanlagen – einschließlich der in automatisierten Lagerliften, Regalsystemen und Werkzeugmaschinen verbauten elektrotechnischen Komponenten.

 

Allgemeiner Geltungsbereich der DIN VDE 0105-100

Die DIN VDE 0105-100 ist eine Betriebsvorschrift, die für alle elektrischen Anlagen ab der Übergabestelle des Energieversorgers gilt – unabhängig davon, ob es sich um Neuanlagen, Erweiterungen oder bestehende Installationen handelt. Sie richtet sich an Anlagenverantwortliche, Betreiber, Elektrofachkräfte, elektrotechnisch unterwiesene Personen sowie an Unternehmen mit eigenem Wartungspersonal.

Ziel der Norm ist es, während des gesamten Lebenszyklus elektrischer Anlagen – also Planung, Errichtung, Inbetriebnahme, Betrieb, Wartung und Außerbetriebnahme – Personen- und Anlagensicherheit zu gewährleisten. Dabei wird insbesondere auf die Minimierung von elektrischen Gefährdungen und Brandrisiken geachtet, die sich aus dem Betrieb elektrischer Systeme ergeben können.

 

Grundprinzipien der Norm

Die wesentlichen Inhalte lassen sich in fünf zentrale Grundprinzipien gliedern:

  1. Organisation des sicheren Betriebs

  2. Ermittlung und Bewertung von Gefährdungen

  3. Festlegen sicherer Arbeitsverfahren

  4. Betriebs- und Instandhaltungsvorgaben

  5. Maßnahmen bei besonderen Betriebszuständen und Störungen

Diese Prinzipien gelten auch dann, wenn Anlagen automatisiert oder in spezielle Anlagen integriert sind – wie etwa in Lagerlifte oder fertigungstechnische Maschinen.

 

Anforderungen im Umfeld von Lagerliften und Regalsystemen

Automatisierte Lagerlifte sind komplexe mechatronische Systeme, bei denen elektrische Antriebe, Sensorik, Steuerungseinheiten und Verbindungsleitungen in engen, teilweise schwer zugänglichen Schächten verbaut sind. Dies erhöht nicht nur den Wartungsaufwand, sondern auch das Gefährdungspotenzial:

  • Brände durch Kurzschlüsse oder Überlastungen

  • Fehlfunktionen infolge mangelhafter Isolation oder Wartung

  • Risiken durch unzureichende Erdung oder Schutzleiterunterbrechung

Gemäß DIN VDE 0105-100 ist der Betreiber verpflichtet, die Betriebssicherheit regelmäßig zu überprüfen. Dazu gehören Sichtkontrollen, Messungen und Erprobungen – dokumentiert in einem Prüfprotokoll. Auch das regelmäßige Reinigen von Anlagenräumen (z. B. Lagerlifträumen) gehört zu den vorgeschriebenen Maßnahmen, um Staubbrände oder Wärmestaus zu verhindern.

Ein besonderes Augenmerk liegt auf dem Schutz gegen elektrischen Schlag, z. B. durch ordnungsgemäße Erdung, Potentialausgleich, Fehlerstromschutzschalter (RCD) und ausreichende Isolierung. Der Zugang zu elektrischen Betriebsmitteln darf nur qualifiziertem Personal gewährt werden. Steuerkästen, Verteilungen und Kabelkanäle müssen übersichtlich beschriftet, gut zugänglich und vor Feuchtigkeit, Staub sowie mechanischer Belastung geschützt sein.

 

Anforderungen bei Werkzeugmaschinen

Werkzeugmaschinen wie CNC-Bearbeitungszentren, Drehbänke oder Schleifmaschinen enthalten oft leistungsstarke elektrische Antriebe, frequenzgeregelte Vorschubmotoren, Kühlaggregate sowie komplexe Steuerungen. In Kombination mit Kühl- und Schmiermitteln, heißen Spänen oder metallischem Staub kann eine mangelhafte elektrische Ausführung fatale Brandauswirkungen haben.

Die DIN VDE 0105-100 schreibt daher insbesondere vor:

  • Regelmäßige Sichtprüfung der Stromversorgung und aller Zuleitungen

  • Messung von Isolationswiderständen, Schutzleiterstrom und Berührungsspannung

  • Erprobung von Schutzmaßnahmen (z. B. automatische Abschaltung, Not-Aus)

  • Beachtung des Umgebungseinflusses: Öl, Emulsionen oder Späne dürfen keine elektrischen Komponenten erreichen oder in Gehäuse eindringen

  • Vermeidung von unkontrollierter Erwärmung: z. B. durch verschmutzte Kühleinrichtungen oder blockierte Lüfter

Auch bei Umbauten, Modernisierungen oder Integration in Fertigungslinien ist zu beachten: Die Maschine muss nach jeder Veränderung wieder entsprechend den Anforderungen der DIN VDE 0105-100 geprüft und für den Betrieb freigegeben werden.

 

Brandschutz im Fokus

Ein zentrales Thema der DIN VDE 0105-100 ist die Vermeidung von Bränden infolge elektrischer Fehler. Die Norm betont die Wichtigkeit folgender Schutzmaßnahmen:

  • Schutz durch automatische Abschaltung bei Fehlerströmen (z. B. durch RCDs)

  • Selektive Schutzeinrichtungen zur gezielten Fehlerbegrenzung

  • Absicherung aller Stromkreise nach dem tatsächlichen Strombedarf

  • Verwendung von Leitungsschutzschaltern mit geeigneter Auslösecharakteristik

  • Lichtbogenüberwachungssysteme bei hochbelasteten Stromschienen oder Verteilungen

  • Brandschutzgehäuse für elektrische Schaltschränke in brandgefährdeten Bereichen

  • Thermografieeinsätze zur Früherkennung von Hot-Spots in Verteilungen

Im Fall von Lagerliften gilt zusätzlich: Die vertikale Ausdehnung und die oft geschlossene Bauweise fördern die rasche Brandausbreitung. Daher empfiehlt sich die Kombination elektrischer Sicherheit nach DIN VDE 0105-100 mit zusätzlichen Brandschutzmaßnahmen gemäß DIN EN ISO 19353, VdS 2095 oder VDI 3564-1.

 

Organisatorische Anforderungen

Neben der technischen Ausführung ist auch die Organisation des sicheren Betriebs Gegenstand der Norm. Sie fordert unter anderem:

  • Erstellung von Betriebsanweisungen für alle Tätigkeiten an elektrischen Anlagen

  • Ernennung einer Anlagenverantwortlichen Person

  • Freigabe von Arbeiten nur durch elektrotechnisch qualifiziertes Personal

  • Schulungen, Unterweisungen und regelmäßige Wiederholungen

  • Sicherheitsunterweisungen bei neuen Anlagen oder wesentlichen Änderungen

  • Sicherstellen einer Dokumentation aller Maßnahmen, Prüfungen und Freigaben

Die Verantwortung für die Einhaltung dieser Maßnahmen liegt beim Betreiber. Dieser kann Aufgaben an geeignete Personen delegieren, bleibt jedoch im Sinne der Arbeitsschutz- und Betriebssicherheitsverordnung weiterhin verantwortlich.

 

Besonderheiten bei Arbeiten an elektrischen Anlagen

Arbeiten an elektrischen Anlagen gelten als besonders gefährlich – insbesondere unter Spannung. Die DIN VDE 0105-100 unterscheidet hier drei Arbeitsarten:

  1. Arbeiten im spannungsfreien Zustand

  2. Arbeiten in der Nähe unter Spannung stehender Teile

  3. Arbeiten unter Spannung (AuS)

Für jeden Fall gelten unterschiedliche Anforderungen an Qualifikation, Schutzmaßnahmen, Werkzeuge und persönliche Schutzausrüstung. Grundsätzlich gilt: Arbeiten an Lagerliften oder Maschinensteuerungen dürfen nur nach fünf Sicherheitsregeln durchgeführt werden:

  1. Freischalten

  2. Gegen Wiedereinschalten sichern

  3. Spannungsfreiheit feststellen

  4. Erden und kurzschließen

  5. Benachbarte, unter Spannung stehende Teile abdecken oder abschranken

Diese Regeln sind in jeder Gefährdungsbeurteilung zu berücksichtigen – insbesondere, wenn Instandhaltungsarbeiten im laufenden Betrieb stattfinden müssen.

 

Fazit

Die DIN VDE 0105-100 ist eine tragende Säule der elektrischen Betriebssicherheit in Industrieanlagen. Sie dient nicht nur dem Schutz von Personen, sondern auch dem Erhalt der Betriebsmittel und der Sicherstellung der Anlagenverfügbarkeit – und sie leistet durch die konsequente Umsetzung einen wichtigen Beitrag zum Brandschutz.

Gerade in modernen Produktionsbetrieben mit Lagerliften, Werkzeugmaschinen und automatisierten Materialflüssen ist sie unverzichtbar, um elektrische Gefahren zu vermeiden, Brände zu verhindern und gesetzlichen sowie versicherungstechnischen Anforderungen gerecht zu werden.

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