DIN EN 619 (Sicherheitsanforderungen an mechanische Fördereinrichtungen)

In der modernen Intralogistik bilden mechanische Fördersysteme das Rückgrat vieler Produktions-, Lager- und Versandprozesse. Um ein hohes Maß an Sicherheit beim Einsatz dieser Anlagen zu gewährleisten, wurde die DIN EN 619:2022-07 entwickelt. Sie trägt den vollständigen Titel „Stetigförderer und Systeme – Sicherheitsanforderungen an mechanische Fördereinrichtungen für Stückgut“ und ist eine sogenannte Typ-C-Norm, die spezifische Anforderungen für eine genau definierte Maschinenklasse festlegt.

Die DIN EN 619 richtet sich in erster Linie an Hersteller, Betreiber, Planer und Sicherheitsverantwortliche, die sich mit dem Bau, der Auswahl, dem Betrieb oder der Wartung von mechanischen Fördersystemen befassen. Ein wesentliches Ziel dieser Norm ist es, typische Gefährdungen – insbesondere mechanische und elektrische Risiken, aber auch Brandgefahren – systematisch zu identifizieren und durch technische und organisatorische Maßnahmen zu minimieren.

 

Anwendungsbereich der DIN EN 619

Die DIN EN 619 gilt für mechanische Stetigförderer, also Fördermittel, die kontinuierlich oder im Taktbetrieb Stückgüter auf einem definierten Weg bewegen. Der Begriff „Stückgut“ bezieht sich auf einzeln transportierte Einheiten wie Kartons, Kisten, Paletten, Container oder Bauteile – im Gegensatz zu Schüttgut wie Sand, Granulat oder Getreide.

Die Norm umfasst folgende Fördertechniktypen:

  • Rollenförderer (angetrieben oder nicht angetrieben)

  • Kettenförderer

  • Plattenbandförderer

  • Gurtförderer

  • Drehteller und Weichen

  • Vertikalumsetzer (z. B. Hub- und Senkstationen)

  • Transferwagen zur Querförderung

  • Knick- und Steigförderer

In vielen Anlagen sind solche Systeme miteinander verknüpft, sodass komplette Fördersysteme mit mehreren Linien, Ebenen und Steuerungseinheiten entstehen.

 

Gefährdungsanalyse und Sicherheitskonzept

Die Norm basiert auf einer strukturierten Gefährdungsanalyse nach dem Prinzip der EN ISO 12100, wobei typische Risiken im Förderbetrieb identifiziert und passende Gegenmaßnahmen vorgeschlagen werden. Dazu zählen:

  • Quetsch- und Scherstellen zwischen beweglichen Teilen

  • Absturzrisiken durch nicht gesicherte Förderabschnitte

  • Unkontrollierte Bewegungen durch Steuerungs- oder Antriebsfehler

  • Elektrische Gefährdungen durch unzureichende Isolierung oder Erdung

  • Brandgefahren durch mechanische Erwärmung, elektrische Defekte oder Fremdeinwirkungen

Die Norm fordert, dass sämtliche sicherheitsrelevanten Komponenten zugänglich, überwachbar und regelmäßig prüfbar sein müssen. Zusätzlich sind Betriebsanleitungen, Kennzeichnungen und Sicherheitszeichen vorzusehen, die auch im Notfall eine sichere Handhabung ermöglichen.

 

Brandschutz in fördertechnischen Anlagen

Ein zentrales Thema – das in der DIN EN 619 nicht in voller Tiefe, aber im Kontext der Gefährdungsvermeidung mitgedacht wird – ist der Brandschutz. In vielen industriellen Umgebungen stellen Förderanlagen aufgrund ihrer Komplexität, Geschwindigkeit und Elektrifizierung eine potenzielle Brandlast dar. Die Gefahr erhöht sich durch folgende Faktoren:

  • Hoher elektrischer Energiebedarf (Motoren, Steuerungen, Sensorik)

  • Reibung zwischen Förderteilen bei Störungen oder Materialverklemmungen

  • Ablagerungen von Verpackungsmaterialien, Staub oder öligen Rückständen

  • Einlagerung leicht entflammbarer Güter wie Kunststoffe, Papier, Textilien

  • Verkettung mit automatischen Hochregallagern ohne unmittelbaren Personalzugang

Obwohl die DIN EN 619 keine eigene Brandnorm ist, verpflichtet sie den Hersteller und Betreiber dazu, Brandgefahren im Rahmen der Gefährdungsbeurteilung zu berücksichtigen. Dies umfasst:

1. Vermeidung von Zündquellen

  • Verwendung von thermisch überwachten Motoren und Antrieben

  • Einsatz von abschaltbaren Reibelementen bei Blockaden

  • Lichtschranken oder Drehmomentbegrenzer, um Störungen zu erkennen

  • Integration von Not-Aus- und Sicherheitssteuerungen

2. Minimierung brennbarer Materialien

  • Reduzierung von Kunststoffteilen auf das Notwendigste

  • Auswahl von flammbeständigen Fördergurten (z. B. nach DIN EN ISO 340)

  • Reinigungsvorgaben zur Entfernung von Staub und Verpackungsresten

3. Abschirmung gefährdeter Bereiche

  • Brandschutzwände oder Einhausungen an kritischen Stellen

  • Rauch- und Wärmeabzugsanlagen (RWA) in längeren Förderlinien

  • Brandschutzklappen bei Durchführungen durch Wände und Decken

4. Früherkennung durch Technik

  • Installation von Rauch-, Wärme- oder Flammenmeldern

  • Integration von Branderkennungssystemen in Fördersteuerung

  • Koppelung mit zentralem Brandschutzsystem (z. B. Brandmeldeanlage BMA)

5. Löschsysteme

  • Sprinkleranlagen entlang der Fördertechnik – sowohl im Deckenbereich als auch lokal (z. B. in Schächten, unter Transferwagen)

  • Speziallösungen wie CO₂- oder Aerosollöschanlagen, insbesondere bei Fördertechnik in geschlossenen Räumen oder EDV-naher Umgebung

  • Abschaltung der Förderstrecke im Brandfall, um Ausbreitung zu verhindern

 

Schnittstelle zu weiteren Regelwerken

Auch wenn die DIN EN 619 den Brandschutz nicht explizit ausformuliert, ist sie Bestandteil eines gesamten Sicherheitskonzepts, das auf mehreren Ebenen mit weiteren Vorschriften verzahnt ist:

  • DIN EN 1127-1 (Explosionsschutz – Grundlegende Begriffe und Methodik)

  • VDMA-Einheitsblätter (z. B. VDMA 24186 für Wartung und Instandhaltung)

  • TRBS 2152 (Technische Regeln für Betriebssicherheit – Brand- und Explosionsschutz)

  • ASR A2.2 (Technische Regeln für Arbeitsstätten – Maßnahmen gegen Brände)

  • Versicherungsanforderungen, etwa der VdS-Richtlinien (VdS 2095, VdS 2023)

  • Bauordnungen und Brandschutzkonzepte, die Anlagenbetreiber individuell umsetzen müssen

Gerade in Hochregallagern mit durchgängiger Fördertechnik ist die Kombination von mechanischen Sicherheitsanforderungen der DIN EN 619 mit Brandschutzvorgaben aus VdS, DIN 14096 oder FM Global unabdingbar.

 

Instandhaltung, Schulung und Prüfung

Ein zentraler Teil der Norm betrifft den laufenden Betrieb: Nur eine regelmäßig gewartete und geprüfte Förderanlage bleibt sicher. Die DIN EN 619 gibt konkrete Anforderungen für:

  • Prüfzyklen für Schutzsysteme (z. B. Lichtgitter, Endschalter, Not-Aus)

  • Wartungsintervalle für Antriebselemente

  • Dokumentation sicherheitsrelevanter Ereignisse

  • Unterweisung des Bedienpersonals in Notfallverfahren

Ergänzend fordert die Norm, dass zur Prüfung befähigte Personen die Förderanlagen nach bestimmten Intervallen kontrollieren. In vielen Unternehmen übernimmt diese Rolle die interne Instandhaltung, unterstützt durch externe Fachfirmen oder Sachverständige.

 

Fazit

Die DIN EN 619 ist eine Schlüssel-Norm für die sichere Auslegung und den Betrieb mechanischer Fördertechnik in der Intralogistik. Sie stellt Anforderungen an den Schutz vor mechanischen und elektrischen Gefährdungen – indirekt aber auch an Brandschutzmaßnahmen, die aus der Gefährdungsanalyse heraus abzuleiten sind.

Gerade in automatisierten Anlagen mit langen Förderwegen, mehreren Ebenen und brandsensiblen Lagergütern ist es unerlässlich, Brandschutz als integralen Bestandteil der Anlagensicherheit zu betrachten. Die Umsetzung erfolgt idealerweise in Verbindung mit spezialisierten Brandschutzkonzepten, individuellen Risikoanalysen und regelmäßiger Wartung.

Werden die Vorgaben der DIN EN 619 konsequent umgesetzt und durch geeignete Brandschutzmaßnahmen ergänzt, lassen sich sowohl der Personenschutz, als auch der Schutz von Sachwerten, Betriebsfähigkeit und Liefersicherheit langfristig gewährleisten.

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